Kritische Online-Edition der Tagebücher von Michael Kardinal von Faulhaber (1911-1952)
Michael Kardinal von Faulhaber (1869-1952) war Erzbischof von München, ein herausragender Theologe, meinungsfreudiger Vordenker des politischen Katholizismus und Streiter für kirchliche Interessen, ein enger Freund von Papst Pius XII., aber auch Verhandlungspartner von so unterschiedlichen Politikern wie Hitler, Roosevelt und Adenauer. Seine umfangreichen Tagebücher werden in diesem Projekt wissenschaftlich kommentiert und für jedermann zugänglich online veröffentlicht.
Die Deutsche Forschungsgemeinschaft bewilligte dazu ein auf zwölf Jahre angelegtes Langfristvorhaben, das am 1. Oktober 2013 begann. Der Historiker Prof. Dr. Andreas Wirsching vom Institut für Zeitgeschichte München-Berlin und Prof. Dr. Hubert Wolf verantworten es gemeinsam. Kooperationspartner ist das Erzbischöfliche Archiv München, das die Tagebücher Faulhabers verwahrt.
Faulhabers Einfluss reichte weit über die Grenzen Deutschlands und der katholischen Kirche hinaus. Er reiste viel und verfügte über beste internationale Kontakte zu führenden Persönlichkeiten aus Kirche, Politik und Kultur. Die zahlreichen Gesprächspartnerinnen und -partner, die er Tag für Tag empfing, stammten aus allen Gesellschaftsschichten. Schon zu Lebzeiten von vielen Kirchenmitgliedern hochverehrt, ist er vor allem wegen seines widersprüchlichen Verhaltens im „Dritten Reich“ bis heute in Forschung und Öffentlichkeit auch heftig umstritten.
Faulhaber war nicht nur ein wichtiger Akteur, sondern auch ein aufmerksamer Beobachter und Deuter in einer Zeit voller Umbrüche. Seine Aufzeichnungen waren ursprünglich nicht zur Veröffentlichung gedacht und erlauben daher einen authentischen Blick hinter die Kulissen. Sie lassen Emotionen und Handlungsmotive erkennen, die anhand der bisher zugänglichen Quellen kaum zu beschreiben waren. Faulhaber, sozialisiert im katholischen Milieu des Kaiserreichs und überzeugter Monarchist, steht dabei in vielem repräsentativ für breite Strömungen im Katholizismus.
Faulhaber schrieb überwiegend in der Kurzschrift „Gabelsberger“. Da diese nur noch sehr wenige Sachverständige entziffern können, drohen umfangreiche Archivbestände unzugänglich zu werden. Indem das Projekt Gabelsberger-Schulungen umfasst, leistet es einen wichtigen Beitrag zur Bewahrung dieser Kulturtechnik. Dank der großzügigen Unterstützung der Fritz-Thyssen-Stiftung konnten ausgewählte Teile der Faulhaber-Bestände transkribiert werden, um den Projektantrag bei der DFG vorzubereiten.
Es stellt einen ausgesprochenen Glücksfall dar, dass Faulhabers Tagebücher für die Jahre von 1911 bis 1952 lückenlos überliefert und seit April 2012 der Forschung zugänglich sind. Das Quellenkorpus ist quantitativ und qualitativ einzigartig. Die Einträge im Tagebuch sind knapp gehalten, aber zu wichtigen Themen und Gesprächen fertigte Faulhaber Beiblätter an, die sich durch Detailreichtum und ein hohes Reflexionsniveau auszeichnen. Tagebücher und Beiblätter sollen in diesem DFG-Langfristvorhaben vollständig erfasst, historisch-kritisch ediert, kommentiert und in einer Online-Datenbank publiziert werden.
Die Edition wird für grundlegende Fragen zur deutschen und europäischen Geschichte aufschlussreich sein; die universelle Struktur der katholischen Kirche eröffnet außerdem internationale Vergleichshorizonte. Das Projekt wird neue Beiträge zum Verhältnis von Religion und Politik und zum Umgang der katholischen Kirche mit totalitären Ideologien ermöglichen. Gleiches gilt für innovative Forschungen zur Theologie- und Kulturgeschichte, etwa mit Blick auf personelle Netzwerke, Frömmigkeitsformen, Kriegsdeutungen und Geschlechterrollen im Katholizismus oder die Beziehungen zu anderen Glaubensgemeinschaften.
Weitere Informationen und die Online-Datenbank finden Sie auf der Projekthomepage unter www.faulhaber-edition.de.